KRAAN Press Release 1977 "Wiederhören" by EMI

"They're bloody amazing" (John Ingham)

1971 gründen vier Musiker eine Band namens KRAAN und 1972 nehmen sie Ihre erste LP auf. So oder ähnlich beginnt wohl die Lifeline einer jeden Gruppe. Aber was in diesem Fall nun kommt, ist ein Exempel dafür, wie eine deutsche Rockgruppe ohne großen PR-Rummel, ohne hype and Publicitymätzchen, dafür aber mit mehr als 500 Livekonzerten und harter Arbeit zu dem werden kann, was KRAAN heute eben ist.
Zurück also ins Jahr 1971. Im Berliner arts-lab Media-Centrum, eine der damaligen großen Hoffnungen, die verschiedenen Kunstmedien zu verschmelzen, gründen vier junge Ulmer Musiker eine Gruppe, die sie KRAAN nennen. Die konsequente Abkehr vom free jazz läßt sie eine Musik entwickeln, deren Hauptcharakteristika mit körperlicher Motorik des Rock, Melodieführung orientalischer Folklore and Improvisationstechniik des Jazz am ehesten zu beschreiben sind.Eine Vorwegnahme dessen also, was heute, sechs Jahre später, in Ermangelung besserer Termini Fusionsmusik genannt wird.

Das Media-Centrum stirbt (leider) eines langsamen Todes and Peter Wolbrandt (Gitarre + Vocals), Alto Pappert (Altsax + Sopranino), Hellmut Hattler (Bass + Vocals) und Jan Fride (Schlagzeug + Percussions) verlassen Berlin, um im Teuteburger Wald die Möglichkeit kreativer Arbeit zu finden, die ihnen Berlin nicht mehr bietet.
Das Weidegut Wintrup, mietfrei zur Verfügung gestellt von Graf Metternich, wird nun Ausgangspankt einer Entwicklung, die bis heute noch nicht beendet ist. Wintrup ermöglicht KRAAN aber auch die Grundvoraussetzungen, ohne die ihre Musik nicht wäre, was sie ist.
Gemeinsames Leben in der Gruppe, über das musikalische Arbeiten hinaus Anteilnehmen an der Entwicklung der anderen, aber auch - ebenso wichtig - eigenständige persönliche und musikalische Entwicklung des Einzelnen.
Im Mai 1972 nehmen sie ihr Debut-Album "KRAAN" auf und der Kritiker der "Sounds" hat wohl die richtige Nase gehabt, als er in seiner Rezension behauptet, KRAAN werde man bald in einem Atemzug nennen mit den Topgruppen Amon Düül and Can. Tatsächlich erweisen sich die beiden Schwerpunkttitel dieser Produktion, "Kraan Arabia" and "Sarahs Ritt durch den Schwarzwald", als ausgesprochene Publikumslieblinge and sind heute zu Klassikern der KRAAN-Musik geworden. Ebenfalls 1972 betreten sie bei ihrer ersten Herbst-Tournee englischen Boden und ihr Auftritt beim "Great Windsor Park Festival" legt den Grundstein zu ihrer Auslandskarriere. Im Anschluß spielen sie ihr zweites Album ein, fast, so möchte man sagen, wie selbstverständlich "Wintrup" betitelt. "Wintrup" erscheint im Frühjahr '73 und zeigt den Weg auf , den KRAAN zukünftig in ihrer Studioarbeit gehen werden. Die ausladenden , jazzverhafteten Improvisationen des Vorgänger-Albums werden nun zu integrierten Höhepunkten einer Musik, die stärker von Songstrukturen and Vokalteilen geprägt ist.
1973 wird für KRAAN das Jahr der Festivals. Nach KRAANs Auftritt beim repräsentativen Deutschrock-Festival des RIAS in Berlin beschreibt Barry Graves in der Berliner Presse, warum die Gruppe als eine der "stärksten Live-Bands Europas" gilt. Graves, naturalisierter Amerikaner, Autor des Rocklexikons and Redakteur beim RIAS, empfindet einen KRAAN-Auftritt so: "Alsdann kam KRAAN and degradierte alle Mitspielenden zum Vor- and Nachprogramm. Ihnen gehörte der Abend, denn sie hatten alles: eine aufregende Versiertheit an ihren Instrumenten, ein enormes Feeling für Arrangements, Improvisationsübergänge, Effekt- Timing, eine Ensemble-Dichte, die einen beinahe fassungslos ließ, und vor allem eine allge-
mein sympathische Bühnenpräsenz."
Pünktlich zur Herbst-Tournee '74 ist das dritte Album auf dem Markt: "Andy Nogger". Vom Musik-Express zur LP des Jahres gekürt, wird "Andy Nogger" im folgenden dann auch der gelungene Einstand auf der internationalen Szene. Zunächst aber, wir schreiben immer noch 1974, verwirklichen KRAAN ein Projekt, das für sie schon seit längerem beschlossene Sache war, mittlerweile aber auch ein vehementer Wunsch der KRAAN-Gemeinde ist. Während der Herbst-Tournee nehmen sie im Berliner "Quartier Latin" ein Live-Doppelalbum auf, das selbst die kühlsten Kritiker aus der Reserve lockt and das auch bei der späteren Veröffentlichung in England die britischen Fachleute in Lobeshymnen ausbrechen läßt. David Brown
vom Record Mirror: "Wäre nicht das gelegentliche Rückkoppeln, man könnte keinen Unterschied zu einer Studioproduktion hören. Zu inspirierten Soli mit vielfältigen Talenten bringen sie einige der bemerkenswertesten Riffs hervor, die je auf einer Platte veröffentlicht wurden." Und "Needletime" schreibt: "Das ist eine sehr angenehme Überraschung. Eine deutsche Band die an die frühen "Wishbone Ash" zu ihren besten Zeiten erinnert, aber doch
viel mehr ist. Imaginationsreich mit den besten Qualitäten des Jazz und Rock."

Das Live-Album erscheint im Frühjahr 1975 auf dem deutschen Markt und gleichzeitig wird"Andy Nogger" in Kanada und den Staaten veröffentlicht. Innerhalb von vier Wochen steht"Andy Nogger" auf Platz neun der meistgespielten LPs aller amerikanischen FM-Sender.
Kurz darauf wird das Album auch in Südafrika, Australien, Frankreich, Skandinavien und Großbritannien veröffentlicht. Die große Europa-Tournee 1975 befreit KRAAN endgültig von dem Ruch (wenn er zu dieser Zeit überhaupt noch bestand), nur in Deutschland eine lokale Größe zu sein. Die Stationen dieser Tour hießen Deutschland, Holland, Österreich, Schweiz, Frankreich und Skandinavien mit dem Roskilde-Festival bei Kopenhagen. 30.000 Zuhörer erleben KRAAN "top of the bill" neben Focus and Procol Harum. In England schließ1ich erhalten KRAAN die höheren Weihen der renommierten Clubs "Marquee" und "Roundhouse" in London. John Ingham von der englischen "Sounds" notiert dazu: "Wie "Man" improvisieren sie innerhalb strukturierter Songs. Wie beim "Mahavishnu Orchestra" ist ihre Musik ein Fluß höchster and äußerster Energie. Aber musikalisch sind sie sie selbst, klar and leicht, aber dennoch kraftvoll. Man schuldet es sich selbst, sie zu sehen."
Auf dieser Tour beginnt ein "Experiment", das ein Jahr später seine folgerichtige Fort- setzung erfahren soll. Ingo Bischof, Keyboardmann bei der Berliner "Karthago", nimmt als fünfter Mann an der kompletten Europa-Tour teil and spie1t auch die fünfte Produktion, "Let It Out", mit ein. "Let It Out", auf Wintrup selbst mit Conny Plancks mobilem Recording-Set aufgenommen, wird weltweit am 1. September 1975 veröffentlicht und erwirbt sich das Prädikat "professionellstes deutsches Album".
Ingo Bischof verläßt die Gruppe , um wieder in Berlin zu arbeiten, und im Februar '76 brechen KRAAN zu einer neuen England-Tournee auf , die mit dem TV-Klassiker "Old Grey Whistle Test" beginnt and mit dem nahezu ausverkauften "New Victoria Theatre" endet. Schon im April findet die nächste and dritte England-Tour statt. Pete Makowski meint in der englischen "Sounds": "Sie waren brilliant and begeisterten sofort ihr Publikum." Und David Brown im "Record Mirror & Disc": "Die deutsche Band KRAAN gab ein Lehrstück und demonstrierte, wie man aufregend and subtil sein - und dabei dennoch Rockmusik machen kann"
Auch die etwas schwerfälligen kontinentalen Fernsehgesellschaften sind nun endlich aufmerksam geworden. Das Schweizer Fernsehen sendet ein Live-Konzert and selbst das ZDF dreht einen Fernehfilm über KRAAN.
Im April and Juni schließen sich zwei Skandinavien-Tourneen an and die Monate Mai, Juni, Juli und August sind die Veröffentlichungsdaten für "Kraan Live" in England and Skandinavien and "Let It Out" in Kanada and Amerika. Für September und Oktober ist die traditionelle Deutschland-Tour angesetzt und nun erfolgt, was sich bereits 1975 andeutete. Saxophonist Alto Pappert verläßt die Gruppe and Ingo Bischof hält mit Synthesizer, Clavinett und E-Piano Einzug. 22 Konzerte in fünf Wochen stehen auf dem Programm and die abschließende Bilanz sieht so aus: 21 Konzerte sold out, über 30.000 Zuhörer and die Popularität trotz (oder aufgrund) der Umbesetzung größer denn je. Vor und nach der Tour gehen die Arbeiten an der neuen sechsten Produktion weiter . Mit der Veröffentlichang von "Wiederhören" am 1. März wird jedem klar sein, was KRAAN nicht mehr ist.

KRAAN ist keine Deutschrockband mehr, wenn man bei diesem Begriff alle Unzulänglichkeiten der deutschen Szene and die oftmals dumpfe Provinzialität unserer heimischen Erzeugnisse impliziert, sondern KRAAN ist schlicht eine deutsche Rockband. Eine deutsche Rockband, die in der Lage ist, wie es der amerikanische "Rolling Stone" formuliert, "das Spektrum von den für alle zugänglichen Jazzsiebzigern eines Stanley Clarke bis hin zu den easy-listening, spitzfindigen leadinstrumentals von englischen Kultgruppen wie "Camel" und "Caravan" zu umfassen.

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